Das große Missverständnis
mit der Schönheit

Es ist schon verrückt. Wir Designer reden über Content Automation, Scrum, Implementierung, Markenkoeffizienten und was uns sonst noch hilft, unser Design zu verbessern, Argumente für unsere Entwürfe zu finden und unsere Arbeitsweise anderen verständlich zu machen. Wir haben uns eine riesige Bandbreite an Kompetenzen angeeignet. Wir können uns tief in jegliche Materie einarbeiten, seien es Technologien oder Branchen. Wir haben uns die Expertisen und den Fachjargon von IT-Entwicklern, Unternehmensberatern und Co. angeeignet. Eines scheinen wir aber verlernt zu haben und das hat viel mit unserer Identität zu tun. Umso dringlicher ist es, dem entgegenzuwirken. Denn unsere Arbeit ist Mehrwert für die Wirtschaft.

Lasst uns darüber sprechen

„Wir vermeiden Wörter wie Schönheit zwischen 9 und 17 Uhr,“ das ist eine scharfsinnige Beobachtung, die der Unternehmensberater und Autor Tom Peters schon vor vielen Jahren anstellte. Und sind wir mal ehrlich, es ist heute immer noch so. Nicht nur während der Arbeitszeit, sondern auch in unserer Freizeit klammern wir die Schönheit aus. Selbst wir Designer nutzen das Wort schön gar nicht oder völlig falsch. Im Alltag folgt auf schön meist die Konjunktion aber. Oder wir setzen schön synonym zu nett ein. Also, wenn wir eigentlich nichts aussagen möchten, aber uns irgendwie genötigt fühlen doch zu antworten. Es drückt die Belanglosigkeit, das Nichtssagende aus. Unser Sprachverhalten würdigt die Schönheit in keiner Weise. Überlegen Sie mal kurz, wann haben Sie das letzte Mal eine Idee, ein Design oder ein Projekt präsentiert und schön als Argument genutzt? Sie nutzen es nicht, weil es als oberflächlich gilt. Es beschreibt angeblich Ästhetik ohne tieferen Sinn. Es beschreibt scheinbar die langweilige Perfektion. Schönheit ist nicht edgy genug. Das ist aber ein Missverständnis. Schön bedeutet so viel mehr. Und wir Designer haben den Auftrag, es unseren Auftraggebern zu vermitteln. Bezeichnend, dass es schon vor vielen Jahren von einem Unternehmensberater bemerkt wurde und nicht von einem Designer.

Perfektion im Auge des Betrachters

La bellezza. Die Schönheit. Wir assoziieren damit vor allem Ästhetik. Wir denken an die makellosen Körper von Cara Delevingne und Kaia Gerber, an die Stromlinienformen eines Porsches, an die Kunst von Modigliani und Poussin. Im erweiterten Sinn fallen uns dazu Produkte wie Kosmetik, Parfüm oder Haute Couture ein. Schönheit ist in unserem Verständnis fast gleichgesetzt mit perfektem Aussehen. Das war nicht immer so.

Schönheit ist nicht perfektes Aussehen

Der Renaissancekünstler Michelangelo entwickelte das Stilmittel des Non-finito (ital. nicht vollendet). Als Bildhauer traf er bei einigen seiner Werke die Entscheidung, sie nicht zu vollenden. Es entstanden Skulpturen, die nur schemenhaft Figuren andeuten. Die Kunsttheorie der Renaissance setzt voraus, dass der Rezipient das unvollendete Werk „zu Ende sehen kann“. Das Non-finito war als eine hohe künstlerische und intellektuelle Leistung angesehen. Perfektion musste vom Künstler nicht dargestellt werden, der Betrachter vollendete es in seiner Auseinandersetzung mit der Kunst. Schönheit ist also mitnichten oberflächliche Perfektion, sondern vielmehr ein kognitiver Vorgang, der Sehen und Denken vereint. Das ist keine Auffassung, die mit der Renaissance ausgestorben ist, sondern über alle Epochen hinweg bis zu unserer heutigen Zeit Gültigkeit hat.

Sie sagen Authentizität, meinen aber etwas anderes

Warum also nutzen wir schön nicht, um einen Markenauftritt oder eine Kampagne zu beschreiben? Das hat viel mit einem anderen Wort zu tun, das heute durch alle Designmedien geistert und in jeder Präsentation auftaucht: Authentizität. Die Digitalfotografie und mit ihr Social Media haben unsere Sehgewohnheiten verändert. Das Internet ist voll von verwackelten, unter- oder überbelichteten Aufnahmen mit Millionen von Klicks. Marketing-Abteilungen und Designer greifen die vermeintliche Imperfektion auf und gestalten ihre Werbekampagnen dementsprechend. Alles unter dem Deckmantel der Authentizität: „die Marke muss authentischer werden“. Begründet wird es als Abkehr von der Schönheit, als eine bewusste Hässlichkeit, um von den Generationen Z und Alpha ernstgenommen zu werden. Aber authentisch ist das nicht. Authentizität bedeutet, dass Dargestelltes und Tatsache übereinstimmen, also Echtheit. Echt sind diese Kampagnen nicht, denn sie werden oft mit großem Aufwand produziert, um dann ganz ungezwungen zu wirken. Es ist mehr Schein als Sein. Das ist nicht falsch oder verwerflich, solange es nicht allzu plump umgesetzt wird. Marketing muss sich an die Zielgruppen richten und wir Designer haben grundsätzlich die Aufgabe, kundenzentriert zu denken, handeln und gestalten. Aber es authentisch nennen, dürfen wir nicht. Lasst es uns als schön bezeichnen, weil auch Imperfektes schön sein kann! Wir wissen doch: unsere Auffassung von Schönheit wandelt sich. Umberto Eco erzählt diese Geschichte schon eindrucksvoll in seinem Buch. Daher sollten wir die nächste Kampagne mit Fotografie im Halbdunklen und mit ungeschminkten Models als schön beschreiben.

Untersetzt , Bauch, dicker Hals, aufgestülpte Nase, vorquellende Augen, Halbglatze: Sokrates war kein gut aussehender Mann, aber ein Philosoph, der uns viel über Schönheit lehrt.

Reserviert für Mode und Kunst?

Warum wir vieles schön nennen dürfen, beantworten uns Sokrates und Platon in der Hippias maior. Nein, Designer müssen jetzt nicht Sokrates oder Platon zitieren. Auch nicht zwingend lesen. In den Wikipedia-Artikel dürfen sie trotzdem gerne mal reinschauen. Eine abschließende Definition der Schönheit dürfen wir auch von den Philosophen nicht erwarten. Aber sie zeigen uns auf, dass Schönheit mehr ist als ein ästhetischer Sinn, denn sie abstrahieren den Begriff. Der philosophische Gedanke kann auf eine einfache Formel runtergebrochen werden: 

schön = gut = wahr 

Schönheit beinhaltet folglich mehr Dimensionen als die rein visuelle. Funktion und Wahrnehmung können auch Faktoren sein, die etwas schön machen. Deshalb dürfen wir viel mehr als schön bezeichnen, als wir glauben. Eine Lackieranlage, die fast ohne Wasser auskommt, schön! Eine Software für das Flottenmanagement von Testfahrzeugen, schön! Ein Tunnelbohrer, der zwei Kontinente miteinander verbindet, schön! Wir Designer müssen diese Schönheit erkennen, herausarbeiten und vor allem müssen wir sie auch so benennen. Das ist sicherlich schwieriger als bei einer neuen Handtaschenkollektion. Es ist die Königsdisziplin, die Schönheit in jedem unscheinbaren Produkt für andere sichtbar zu machen. Jeder Designer sollte den Ansporn haben, sich daran zu messen.

Die deutsche Wirtschaft ist schön

Ob nun Tüftlergarage oder DAX-Konzern, ob Start-up oder Mittelständler, die deutsche Wirtschaft basiert auf Technologien. Und Technologien sind schön. Der technische Fortschritt ist eine positive Kraft. Er bringt die Gesellschaft voran, er verbindet alle Menschen auf der Welt miteinander, er erhöht die medizinischen Standards, er macht Bildung einfacher zugänglich, er macht das Leben nachhaltiger. Wenn Technologie also aus dieser Sichtweise betrachtet wird, ist sie wunderschön. Nicht umsonst steckt im deutschen Begriff Ingenieurskunst auch das Wort Kunst. Wir Deutschen haben eben eine tiefe und mehrschichtige Verbundenheit zu Technik. Wir Designer möchten mit unserem Kommunikationsdesign die Schönheit von Technologien betonen – wir möchten natürlich die Ästhetik herausarbeiten, aber auch die Verständlichkeit ihres Nutzens, ihrer Funktionsweise, und ihrer Anwendung. Wir unterstützen den Ingenieur, dass auch andere die Schönheit seiner Erfindung erkennen. Das hat nicht nur einen ideellen Wert, sondern auch einen betriebswirtschaftlichen.

Ein Erfolgsfaktor

Design ist Mehrwert für Produkte und Unternehmen. Das ist keine neue Erkenntnis. Der Bundestag förderte Design schon in den Anfängen der Bundesrepublik und setzte sich für die Gründung des Rats für Formgebung ein. Die Stiftung hat den Auftrag die deutsche Wirtschaft im Design als ein Wirtschafts- und Kulturfaktor zu unterstützen. Auch Unternehmensberater untersuchen den Einfluss von Design auf den Unternehmenserfolg. McKinsey veröffentlichte eine Studie Ende letzten Jahres zu dieser Relation. Die Erkenntnis daraus: Designorientierte Unternehmen performen doppelt so erfolgreich wie ihr Wettbewerb. Und das beschränkt sich nicht auf die Konsumgüterbranche. 

Design ist Unternehmenserfolg

Für uns Designer bedeutet das, wir haben Fakten, die den Mehrwert unserer Arbeit belegen. Wir müssen uns also keine neuen Buzzwords ausdenken, um uns zu rechtfertigen. Wir müssen uns zurückbesinnen auf unsere Ausbildung. Wir müssen die Designsprache sprechen. Schönheit, Eleganz, Form, Klarheit sind unsere Worte für eine gute Präsentation unserer Arbeit. Lasst sie uns wieder benutzen! Lasst uns das große Missverständnis mit der Schönheit ausmerzen!

Die Messe im digitalen Zeitalter

Beste Connections auf der Messe

Die Messe ist und bleibt ein herausragendes Kommunikationsmittel für Vertrieb und Marketing. Das persönliche Treffen auf Messen ist im digitalen Zeitalter wichtiger denn je. Im Konsumgüterbereich mag das nicht mehr ganz so zutreffen, hier nehmen die Online-Kanäle wie Webshops einen größeren Stellenwert ein. Doch für Industriegüter gilt die Messe nach wie vor als ein Leitmedium. Wer viel Geld für eine Maschine in die Hand nimmt, möchte sich darüber nicht ausschließlich im Web informieren. Der Austausch, das Erfahren und Erleben sind noch immer die große Stärke von Messen. Die Messe ist ein emotionales Event, das Kunden und Unternehmen zusammenbringt und die Kundenbindung stärkt. Ein Webauftritt kann das nicht in vollem Umfang ersetzen.

Messekonzepte erstellen mit digitaler Denke

Ein Messestand kann allerdings von einer digitalen Denkweise profitieren. Bei jedem Digitalprojekt steht die User Centricity im Mittelpunkt. Das bedeutet, alles ist auf die Bedürfnisse des Kunden ausgerichtet: die Bedienbarkeit, die Informationsarchitektur, die Aufbereitung des Contents. Bei der Konzeption eines Messestandes kann genauso auf Tools wie User Journey, Persona und Prototyping zurückgegriffen werden, um ein möglichst nutzerfreundliches Erlebnis für den Messebesucher zu erzeugen. Basis für das Konzept können Design-Thinking-Workshops sein. Hier lassen sich Vertreter aus verschiedenen Unternehmensabteilungen vereinen, die ihre Blickwinkel und Erfahrungen mit Kundenbedürfnissen einbringen können.

Digitale Tools helfen, einen Messeauftritt aus der Sicht eines Besuchers zu entwerfen.

Aus diesen Informationen werden Zwischenergebnisse erarbeitet und anschließend getestet, ob sie dem zuvor definierten Lastenheft standhalten. Das Endergebnis ist aus unserer Erfahrung immer überzeugend. Der nutzerzentrierte Designprozess führt dazu, dass viel stärker auf die Faktoren wie Usability, Experience und Interaction eingegangen wird. Funktionalität, Design und Emotion fügen sich harmonisch zu einem multisensorischen Messeerlebnis zusammen. Darüber hinaus lassen sich auch die Vermarktung vor und nach der Messe durch Design Thinking viel besser planen.

Digitale Potenziale auf dem Messestand

Nicht nur mit einer digitalen Arbeitsweise, sondern auch mit digitalen Kommunikationsmitteln wird der Messestand zum Erfolg. Zwar möchten Messebesucher in erster Linie Fachgespräche führen und selbst Hand an die Produkte legen. Doch im B2B stecken enorme Potenziale in der digitalen Präsentation von Produkten und Services. Denn die meisten Maschinen und Dienstleistungen werden immer komplexer und mit „Handanlegen“ können ihre Funktionen nicht komplett erfasst und verstanden werden. Augmented Reality und Touchanwendungen sind besonders geeignet, um diese anspruchsvollen Inhalte in digitaler Form elegant, emotional und verständlich darzustellen.

Holistisch denken und von vornherein Digitales mit einplanen.

Allerdings fühlen sich digitale Anwendungen oft wie Fremdkörper auf dem Messestand an. Entweder sie werden in eine abgesonderte Ecke verbannt oder sie werden zusätzlich über das eigentliche Standkonzept gestülpt. Ein weiterer Störfaktor sind unterschiedliche Designrichtlinien, die einen Bruch zwischen analoger und digitaler Welt verursachen und somit die Immersion zerstören, also das Kundenerlebnis mindern. Wichtig ist daher: Niemals Digital und Analog getrennt voneinander betrachten. Digitale Anwendungen müssen sich inhaltlich und gestalterisch in das Standkonzept fügen. So kann ein Messeauftritt in einer digitalen Zeit erfolgreich sein.

Multimedialer Messeauftritt von Herrenknecht auf der bauma 2019: explorative Digitalanwendungen, haptische Modelle, Bewegtbild und plakative Wände im Editorial Design

tl;dr: Ein B2B-Messestand kann nicht durch einen digitalen Kanal ersetzt werden. Er profitiert aber von digitalen Tools und digitalen Anwendungen. Ein Beispiel wie das gelingt, zeigt der Messeauftritt von Herrenknecht auf der bauma 2019.